Samstag, 11. Februar 2012

Niemals aufgeben --- eine Geschichte

Auch diese Geschichte habe ich bereits vor einiger Zeit geschrieben. Ich habe sie heute hervorgeholt, weil sie zeigt - ich gebe zu, auf etwas unheimlicher Weise - dass das Gute, vielleicht gar die "Erlösung" manchmal nur eine Handbreit von uns entfernt ist. Doch Angst, "Blindheit", oder andere Gefühle und Emotionen lassen es uns nicht sehen, oder uns gar aufgeben!



Loipe im abendlichen Winter (c) Rainer Sturm/pixelio.de
"Es hatte schon den ganzen Tag geschneit. Der Wald dehnte sich nach allen Seiten des Weges aus. Es war still, bis auf das vereinzelte Rufen einer Eule, die hoch oben in den Ästen der Fichten sitzen und sich auf ihre nächtliche Jagd vorbereiten musste, dem leichten Rauschen des Windes in den Bäumen und dem Knirschen seiner Schuhe auf dem gefrorenen Boden.

Er irrte bereits seit Stunden durch die Dunkelheit, sich mühsam durch die Schneeverwehungen kämpfend. Er war müde. Durst und Hunger quälten ihn. Und er fror fürchterlich in seiner Kleidung, die alles war, nur nicht den Witterungsverhältnissen angepasst.

Als er am frühen Morgen zu seiner Wanderung aufgebrochen war, ließ nichts auf diesen plötzlichen Wetterumschwung schließen. Außer die Einheimischen… die hätten es wohl gewusst… und wenn er ehrlich war, dann musste er zugeben, dass man ihn zuletzt beim Frühstück im Hotel doch schon irgendwie gewarnt hatte. Aber diese gut gemeinten Hinweise hatte er genau so in den Wind geschlagen wie die Warnungen der alten Männer, die er gestern Abend noch an der Hotelbar kennen gelernt hatte und denen er von seinem Vorhaben erzählt hatte, eine ausgedehnte Wanderung durch das Hohe Venn zu machen…

Auch den Hinweis, im Winter doch nicht ohne Führer loszugehen, hatte er als Kinderkram abgetan und schlichtweg ignoriert. Gedanklich hatte er sich dabei lächerlich geführt, ja schon fast bemuttert, sich einem Führer oder gar einer größeren Gruppe anzuschließen.

Es half alles nichts…. Er hatte sich die Suppe eingebrockt und er würde sie auch auslöffeln müssen. Es wäre doch gelacht, wenn er nicht wieder zum Hotel finden würde…

So langsam brach jedoch die Nacht über diese ausgedehnte Hochebene ein und die dicke Schneedecke hatte die Landschaft inzwischen so vereinheitlicht, dass wirklich eine Ecke der anderen glich… Hatte er nicht eben schon genau diesen Weg gekreuzt? Auch dieser Fichtenhain kam ihm doch irgendwie bekannt vor… Oder doch nicht?




Sonnenuntergang im Winter (c) Fabian Wever/pixelio.de


Es war zum Verzweifeln und nach und nach musste er es sich eingestehen: er hatte sich verlaufen und absolut keine Ahnung mehr wo er sich gerade befand. Er zitterte am ganzen Körper und der Grund dafür war nicht mehr nur die Kälte, die sich jetzt wo es dunkel war, nochmals verstärkt hatte….

Natürlich hatte er nicht daran gedacht, eine Taschenlampe mitzunehmen, wollte er doch zum Abend lange wieder heimgekehrt sein. Und nun musste er sich im Schein seines Feuerzeuges einen Weg durch den Wald suchen. Der Schnee reflektierte zwar die kleine Flamme, dennoch konnte er es nicht vermeiden, immer wieder zu stolpern oder gar hinzufallen, weil er hier und dort Wurzeln, Steine oder kleinere Unebenheiten am Boden übersah. Mehrmals schon war er von den Holzstegen abgerutscht, die teilweise über die Wege gebaut waren. Beim letzten Sturz hatte er sich eine schmerzhafte Schnittwunde am rechten Schienbein zugezogen… Er spürte, wie ihm durch das Blut die Hose an der Wunde klebte…

Und da passierte es wieder… Einen Moment der Unachtsamkeit und schon steckte er wieder knöcheltief im Morast. Das Hohe Venn war durchzogen von solchen moorähnlichen Abschnitten, aus denen die Einheimischen früher noch Torf gewonnen zum Heizen gewonnen hatten.. Ihn interessierte dies jetzt weniger, sondern einzig und alleine beschäftigte ihn die Frage, wie er da wieder raus kommen sollte…Es half nichts. Je mehr er sich anstrengte, je tiefer sank er mit seinem linken Bein ein…. Schließlich schaffte er es, seinen Fuß wieder zu befreien, doch sein Schuh blieb im Morast stecken…. Seine Suche war erfolglos… der Schuh blieb verschwunden…

Es dauerte keine Minute und seine Socke war durchnässt… Jetzt packte ihn die nackte Panik. Wie sollte er dies jemals überstehen?

Er stapfte weiter durch den Schnee, leise vor sich hin betend. Sollte dies sein Ende sein? Er, der noch Karriere machen wollte, der das Leben noch vor sich hatte, sollte er an dieser ach so einfachen Prüfung scheitern?

Er dachte an seine Familie, die er für diesen Kurzurlaub zu Hause gelassen hatte. Er wollte mal wieder alleine sein, hatte er beim Abschied gesagt. Er wollte auftanken. Über das eine oder andere gründlich nachdenken.

Nun wünschte er sich, seine Lieben wären bei ihm. Was würde er ihnen noch alles sagen? Wann hatte er ihnen das letzte Mal gesagt, dass er sie liebte, dass er ohne sie nicht leben könne? Es war schon lange her, das musste er sich eingestehen…

Und der Streit mit seiner Frau am letzten Sonntag… aus der jetzigen Sicht war er absolut überflüssig gewesen. Eine Lappalie, die ihn wieder einmal an sie aufgeregt hatte. Was war es noch gewesen? Er konnte sich zunächst gar nicht daran erinnern, bis es ihm plötzlich wieder einfiel: seine Frau hatte ihm wieder einmal vorgeworfen, dass er so selten zu Hause wäre und sich nie um die Kinder kümmere… Wieder einmal war das Gespräch eskaliert, bis sie sich am Ende alles an den Kopf geworfen hatten… Keine schöne Sache!!! Am Tag darauf war er schmollend aufgebrochen… Auch seine Frau hatte nichts gesagt….

Nun irrte er hier durch diese unwirtliche Gegend… Er würde sie hier und jetzt anrufen.. Warum hatte er nicht schon vorher daran gedacht. Er kam sich richtig blöde vor… ein Anruf und man konnte ihn sicherlich bald holen und in Sicherheit bringen… Er tastete seine Taschen ab: die Hose, das Hemd, die Jacke… nichts zu finden. Wo war dieses verdammte Handy? Früher hatte er immer über diese Telefonknochen geflucht, weil sie so unhandlich waren und jedes Sakko ausbeulten… Jetzt waren sie so klein geworden, dass er scheinbar Mühe hatte, sein Gerät aufzuspüren… Das konnte doch nicht sein, oder? Er wurde immer hektischer, griff abermals in alle Taschen.. Doch seine böse Ahnung wurde zur Gewissheit: er musste es verloren haben. Jedenfalls konnte er es nirgends finden…

Die Verzweiflung über seine prekäre Lage ließ ihm die Tränen in die Augen schießen. Er sank zu Boden und weinte bitterlich…..

Man fand ihn im Frühling nach der Schneeschmelze.. die Gesichtszüge versteinert, die Hände verkrampft… und sein Handy, das nur drei Meter von ihm entfernt unter einer Wurzel lag. Die Dunkelheit und seine Angst hatten es ihn nicht sehen lassen!"