Ahorn-Baumkrone - (c) Andrea Steffen/pixelio.de |
Während eines Spazierganges durch den Wald hören Sie plötzlich Kinderrufe. Sie bleiben stehen, schauen sich um und bald wird Ihnen klar: in der großen Eiche unweit von Ihnen sitzt ein kleines Kind weit oben in der Krone. Der Weg nach oben war für das Kind kein Problem, aber nun sitzt es da und kommt nicht mehr herunter.
Was machen Sie?
1. Sie trösten das Kind kurz, eilen zum nächstmöglichem Haus, um sich eine Leiter zu besorgen oder rufen gar direkt die Feuerwehr?
2. Sie klettern selbst hinauf und stellen oben fest, dass Sie nun auch nicht mehr hinunter kommen. Sie beschliessen fortan mit dem Kind auf die (unwahrscheinliche) Hilfe eines Dritten zu warten?
3. Sie tun so, als hätten Sie nichts gehört und setzten Ihren Spaziergang fort?
Ich denke, in dieser doch sehr offensichtlichen Situation, werden sich die meisten von Ihnen - Sie sehen, ich bleibe trotz allem vorsichtig in meiner Aussage :-) - für die erste Lösungsvariante entscheiden.
Doch im täglichen Leben liegen die Dinge nicht immer so offen auf der Hand und dort entscheiden wir uns dann doch auch schon mal für eine der beiden anderen Lösungen.
Die zweite Variante ist eine Metapher für das Mitleiden, das vielen Menschen eigen ist. Sie verwechseln hier Mitleid mit Mitgefühl.
Mitleiden heißt, den Schmerz des anderen anzunehmen, förmlich in ihn hineinzugehen, ihn zu seinem eigenen zu machen (assoziierter Ansatz). Mitfühlen hingegen bedeutet, sich eine Vorstellung dieses Schmerzes zu machen, in die Schuhe des anderen zu schlüpfen, um dann aber doch bei sich selbst zu bleiben (dissoziierter Ansatz).
In welcher (Gefühls-)Lage werden wir wohl eher in der Lage sein, unserem Gegenüber die bessere Hilfe zukommen zu lassen?
Der Mitleidende ist nicht mehr in der Lage, sinnvolle Lösungsansätze zu entwickeln. Der Mitfühlende, der diese Situation seines Gesprächspartner von der eigenen absolut unterscheidet, wird es aber in der Regel sehr wohl noch tun können!!
Und was hat es jetzt mit der Lösungsvariante 3 auf sich, die jeder im oben beschriebenen Beispiel sicherlich als verantwortungslos abstempeln würde?
Nun, im Alltag fußt diese Variante auf einer Verwechslung. Die Verwechslung von Mitleid und Mitgefühl. Wenn wir dieser Verwechslung zum Opfer fallen, scheuen wir den Kontakt und die Begegnung mit Leid und Schmerz, mit Elend.... Wir halten uns fern von Beisetzungen, auch wenn es im unmittelbaren Umfeld des besten Freundes geschieht; wir wollen negative Äusserungen von Mitmenschen zu einer gegebenen Situation nicht hören, wir beteiligen uns nicht an Kritikgesprächen, auch wenn diese Kritik eines Tatbestandes durchaus berechtigt ist,... all dass, um uns nicht mit dieser Negativität zu "infizieren".
Das schlechte Gewissen, nicht zu helfen, ist allemal leichter zu ertragen, als vermeintlich die Verzweiflung des anderen zu seiner eigenen zu machen (wir sind immer noch bei der Verwechslung zwischen Mitleid und Mitgefühl).
Wohlgemerkt: dieses Verhalten ist nur menschlich, da wir ja als eigenständige Wesen eine egozentrische Sicht auf das Leben haben. Wir sehen die Dinge mit unseren Augen! So gehen wir auch wie selbstverständlich davon aus, dass andere die Dinge so sehen müssten wie wir selbst. Und so führt die Unwissenheit um die Zusammenhänge auch schon mal in die "Falle" von Lösungsvariante 3. Auch wenn wir sie im genannten Beispiel nie für möglich halten würden!
Wenn wir jedoch echte Anteilnahme und echtes Mitgefühl für unsere Mitmenschen zeigen, so erreichen wir zwei Dinge: wir ersparen uns "den Baum" und helfen dem Anderen auch noch runter vom "Baum"! :-)
Aber warum "schlagen" wir dann unseen Gesprächspartner?
Eine irritierende Frage? Nun ich will Ihnen helfen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Wir bleiben beim Thema und Sie haben für Ihren Ansprechpartner Mitgefühl aufgebracht. Bald schon sprudelt es aus Sie heraus: "An Deiner Stelle würde ich dies oder jenes tun!", "Hast Du schon einmal über dies oder das nachgedacht?", "Du müsstest Deine Sichtweise über diese Situation ändern und sie ab sofort mal so und so sehen.."..... Kommt Ihnen das bekannt vor?
All diese Ratschläge sind sicherlich sehr gut gemeint und wollen dem anderen nur helfen. Doch richten sie oftmals beim Hilfesuchenden auch (erheblichen) Schaden an. Ratschläge sind eben auch Schläge!
Warum ist das so? Nun, unsere Ratschläge stammen aus unseren Erfahrungen in eben dieser oder einer ähnlichen Lage. Und unsere Erafhrung ist eben nun mal unsere Erfahrung, nicht mehr und nicht weniger. Der andere hat sein Leben, in dem er seine Erfahrungen gemacht hat.
In dem wir ihn mit unseren Ratschlägen "bombardieren", erklären wir uns gleichtzeitig für Experten für sein Leben.Wir erklären unsere Sicht der Dinge als die einzig richtige! Wie wird dies wohl beim anderen ankommen? Könnte es sein, dass er dann zu seinem ursprünglichen Problem, nun noch ein weitere hat: nämlich ein mögliches Gefühl der Unzulänglichkeit, die Dinge falsch zu sehen, und der Einsamkeit ("Keiner versteht mich!")?
Spiegelbild - (c) Viktor Schwabenland/pixelio.de |
Wie kann man vorgehen? (auch wenn ich mich mit einer Antwort auf diese Frage in das Dilemma begebe, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, nun dich einen Ratschlag zu geben ;-)....)
1. Hören Sie zunächst zu, was Ihnen Ihr Gegenüber zu sagen hat. Versuchen Sie zu verstehen, wie er die Dinge sieht, warum er sie so sieht. Verstehen heißt ja nicht, dass Sie seine Sichtweise auch akzeptieren und gutheißen müssen. Letzteres könnte uns selbst ja mit dem Problem behaften, dass wir ja durch diese Ausführungen beim anderen vermeiden möchten: nämlich, dass wir nun unsere Weltsicht zu Gunsten der des anderen aufgeben müssten.
2. Fragen Sie anschließend, ob Ihr Gesprächspartner mögliche Lösungsansätze von Ihnen hören möchte. Oftmals wird jedoch Ihr Gesprächspartner, nur dadurch, dass Sie ihm Ihr ernsthaftes Interesse für seine Weltsicht entgegen gebracht haben, schon im Gespräch eigene Lösungsansätze entwickeln. Eine schöne Vorstellung, oder?
In diesem Sinne: In Zukunft viel Spaß beim KEINE Ratschläge geben :-)
Ihr
André Leyens