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Bildquelle: "Ein Leuchten zum Abschied"( Joujou/pixelio.de) |
Das
Telefon hatte gegen 22.30 Uhr geklingelt. Der Arzt war dran gewesen und er
hatte ihm mitgeteilt, dass es mit seiner Mutter dem Ende zuging.
Seine
Frau und er hatten schon im Bett gelegen und geschlafen. Seine Frau hatte er zu
Hause gelassen, weil ja noch ihr Sohn da war, der mit knapp einem Jahr nebenan
in seinem Zimmer tief und fest schlief. Er musste sich alleine auf dem Weg
machen, auf diesem irgendwie "letzten Weg".
Was
würde ihn erwarten, wenn er im elterlichen Haus ankam, wo seine Mutter die letzten
Wochen gelegen hatte? Natürlich, seine Schwester, sein Schwager würden da
sein... Die beiden, zusammen ... Er, alleine am Sterbebett seiner Mutter...
Alleine, wie so oft in seinem Leben!
Ja,
alleine hatte er sich oft gefühlt. Alleine in einem Frauenhaushalt, sehr oft
auch als "Prellbock" zwischen Mutter und Schwester, wenn die eine
sich über die andere beschwerte, was denn alles unter der Woche nicht ok war,
während er seinem Studium in Lüttich nachgegangen war. Am liebsten wäre er dann
gleich am Freitag Abend wieder in den Bus gestiegen, um im nächsten Ort den
letzten Zug zurück nach Lüttich zu erwischen.
Das
hatte sich nach der Heirat seiner Schwester zwar etwas gelegt, weil die beiden
dann eben nicht mehr unter einem Dach gelebt hatten. Doch so richtig
verschwunden war dieses Gefühl, vor dem Ganzen die Flucht zu ergreifen, erst,
als er selbst geheiratet hatte und sein eigenes Leben geführt hatte.
Aber
mehr noch als das, beschäftigte ihn der Gedanke, wie sich die letzten Stunden
im Leben seiner Mutter abspielen würden.
Es
würde das erste Mal sein, dass er einen Menschen förmlich in den Tod begleiten
würde. Seinen Vater hatte er als kleines Kind bereits verloren; er war zu
nachtschlafender Zeit ins Krankenhaus gebracht worden, ohne ein Wort des
Abschieds. Man wähnte die Kinder natürlich im Schlaf, obwohl es im Hause
ziemlich laut zuging, als sein Vater auf einem Stuhl kauernd den engen
Treppenaufgang herunter in die Ambulanz getragen wurde.. er jedenfalls hatte
alles mitbekommen: das Stöhnen seines Vaters unter den Schmerzen, das
verzweifelte Jammern und Schluchzen seiner Mutter, was wohl werden würde, die
Kommandos der Sanitäter, den Versuch des Hausarztes, beruhigend auf seine
Mutter einzuwirken, ... Letztendlich war er auch da alleine gewesen, mit seinen
7 Jahren, voller Angst in seinem Bett. Und morgens war der Vater weg gewesen,
einfach tot...
Die
Fahrt in das andere Land, die andere Stadt, die früher einmal sein Zuhause
gewesen war, zog sich hin... Erst die Autobahn, dann das Hochmoor, das zu
dieser Zeit mit seinen hoch in den Nachthimmel ragenden Tannen, die den
Straßenrand säumten und mit der weiten, im Mondschein schimmernden Hochebene,
sehr unheimlich war, gefolgt von etlichen Serpentinen runter ins Tal, die eine
gefährlicher als die andere, besonders heute, wo er alles andere als aufs
Fahren konzentriert war.
Doch
er kam heil an.
Es
kostete ihn einige Überwindung, zu klingeln.. Er zögerte noch, als die Haustür
bereits aufging.. Sein Schwager hatte ihn kommen sehen... Nun, jetzt gab es
kein Zurück mehr; er musste ins Haus...
Seine
Mutter lag im Wohnzimmer, wo sie ihr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus,
ein Krankenbett hatten aufstellen lassen. Den Eingang gleich links neben der
Haustür mied er und folgte seinem Schwager in die Küche, wo ihn auch seine
Schwester erwartete.
Es
herrschte natürlich eine bedrückte Stimmung. Obwohl sie alle wussten, dass
dieser Moment unausweichlich kommen würde, so erschien es ihm jetzt doch sehr
plötzlich zu geschehen. Vor ein paar Tagen noch, am letzten Sonntag, hatte er
seine Mutter noch besucht und es war so, als hätten die Ärzte sich in ihrer
Diagnose getäuscht. Seine Mutter hatte noch mit ihnen gemeinsam am Tisch
gesessen und gegessen; sie hatte noch mit seinem kleinen Sohn geschäkert, sogar
noch ein paar Scherze gemacht...Und jetzt sollte alles vorbei sein?
Er
war heil froh, dass der Hausarzt ihn noch in der Küche abfing, um ihn über den
letzten Stand der Dinge zu informieren. Er wäre tatsächlich froh um jede
Ablenkung gewesen... doch es gab keine.
Er
habe alles gemacht, was er machen könne und dürfe, so der Arzt. Die Mutter habe
ein starkes Herz und es könne daher noch dauern..... Sprach's und ging.
Nun
war das Haus bis auf sie vier leer...
Er
nahm sich ein Herz und ging ins Wohnzimmer.
Seine
Mutter lag in ihrem Bett, zusammengekrümmt und aufgrund der krebsbedingten
mangelnden Nahrungsaufnahme stark abgemagert. Besonders an ihrem Gesicht war es
deutlich zu sehen. Das Gesicht, das früher einmal einer sehr schönen Frau
gehört hatte, war jetzt eingefallen, fast nur noch Haut und Knochen. Die Atmung
war sehr regelmäßig, auch wenn sie sich manchmal mehr nach einem Röcheln
anhörte und er verstand, was der Hausarzt mit den Worten gemeint hatte, dass es
noch dauern könne.
Er
fand seine Mutter eigentlich so wie immer vor, wenn er an den letzten 10
Wochenenden nachts an ihrem Bett gewacht hatte, auf der Couch liegend, ohne
Schlaf finden zu können, weil ihn die rasselnde Atmung neben den tausend
Gedanken, die ihm im Kopf herumschwirrten, wach hielten.
Jetzt
würde er dann wohl zum letzten Mal hier wachen...
Er
hatte nun schon eine kleine Ewigkeit da gesessen, als es an der Haustür
klingelte. Es waren seine Tanten, die drei Schwestern seiner Mutter, mit ihren
Ehemännern. Er erinnerte sich vage daran, dass seine Schwester oder sein
Schwager davon gesprochen hatten, dass die Mama vielleicht noch auf
etwas/jemanden warte, bevor sie gehen könne... Scheinbar hatten sie den
Gedanken Taten folgen lassen und die Verwandten angerufen.
Schnell
füllte sich der Raum vom Gemurmel der Tanten, die sofort mit dem Herunterleiern
von "Vater Unser" und "Gegrüßt seist Du, Maria" begonnen
hatten. Irgendwie schienen sie einen Plan zu haben, was in einer solchen
Situation zu tun sei. Er selber hätte sich viel lieber still hingesetzt, in
Gedanken bei seiner Mutter...
Er
konnte auch in diesem Moment nicht wirklich beten... Zu groß war seine Wut auf
"Den da oben", der ihm jetzt, nachdem er ihm schon den Vater nicht
gelassen hatte, nun auch noch die Mutter nehmen würde.
In
seiner Vorstellung war es nicht vorgesehen, dass sie irgendwann auch mal gehen
würde. Sicherlich musste er zugeben, dass dies eine sehr kindliche Sichtweise
war... sie war ja wahrscheinlich auch in seinem 7-jährigen, kindlichen Gemüt
geboren worden!
Nun
saßen oder standen sie alle um dieses Bett und die Zeit verging, Minute für
Minute, bleischwer... aus den Minuten wurden Stunden, das Gemurmel der Gebete
war inzwischen verstummt, die rasselnde Atmung geblieben,...
Er
saß nun am Kopfende des Bettes und hatte seiner Mutter bereits mehrmals zugeflüstert,
ihre Hand in der seinen haltend: "Mama, lass los.. Alles ist gut, uns geht
es gut, Du hast für alles gesorgt.. Du darfst jetzt zu Papa! Ich liebe
Dich!"
Schließlich,
als die Uhr bereits nach Drei anzeigte, schien es soweit. Seine Mutter atmete immer
flacher und unregelmäßiger... Er hielt immer noch ihre Hand... Die Tanten, wie
auf Kommando, übernahmen wieder das Beten,.... Und dann wurde es immer
stiller... seine Mama atmete nicht mehr, er erschrak, als er sah, wie sich ihre
Augen nach oben in ihren Höhlen wegdrehten. Er erschrak noch mehr, als
plötzlich die Atmung wieder einsetzte,... ein allerletztes Mal! Ein langes
Ausatmen, eine sich senkende Brust, sich entspannende Gesichtszüge, .... es war
ganz still.
Seine
Mutter war gegangen...
In Gedanken an liebe Menschen, die uns schon verlassen haben...